Freitag, 2. Februar 2018

In eine Wolke beißen und, vielleicht, an Zitronenfalter denken

Mit freundlicher Genehmigung von Rittiner&Gomez, Spiez, CH



Den Frühling hatte der unverhoffte Besuch Tariks ihr gebracht, sie aus Traurigkeit und Selbstzweifeln hervorgelockt. Zitrone! Zitrone sollte es sein, wonach die Wolke schmecken würde. Denn die Zitronenfalter waren stets die ersten Schmetterlinge, die man im Frühling zu Gesicht bekam. Frühlingsboten, die Hoffnung auf mildere Tage und blauen Himmel weckten. Milla erinnerte sich an das Glück, das sie beim Anblick des ersten Zitronenfalters im Jahr empfunden hatte. An das Lächeln, das er ihr ins Gesicht gezaubert hatte. Selbst jetzt, weit von Frühling und Zitronenfaltern entfernt, lächelte Milla, empfand sie diesen Augenblick des Glücks neu. Ja, die Wolke dieser Torte würde nach Zitrone schmecken. Nicht überall, doch an einer Stelle - gerade so groß wie ein Schmetterling. Wie zwei Schmetterlinge. Milla besann sich, dass die Torte einem Paar galt und nicht ihrer Erinnerung. Zitronensaft war zur Hand. Bald schon erinnerte an zwei Stellen ein feiner Zitronengeschmack in der ansonsten weißen Sahnecreme an den taumelnden Flug zweier sich im Liebenswerben umkreisender Zitronenfalter.

Während Milla diesen Gedanken nachhing, war auch die letzte Torte fertig geworden. Auch sie bestrich Milla mit weißer Ganache und stellte sie in die Kühlkammer. Holte die anderen zurück auf die Arbeitsplatte und begann, sie mit Fondant einzudecken und zu gestalten.

Die untere Torte deckte sie mit grünem Fondant ein, modellierte ein paar Grashalme hinzu, Blumen. Stellte dann den ersten Teilstamm hinein und betrachtete zufrieden das Ergebnis: Der Stammteil passte jetzt, da die Fondantdecke auf der einen und die Schokoladenborke auf der anderen Torte auflag, wie angegossen in den inneren Ring der unteren Torte. Schaute ein wenig hervor. Nichts wackelte. Die zweite Torte bekam ebenfalls eine Decke, von dunklerem Grün, doch applizierte Milla viele Blätter aus Fondant und Pflaumen, die sie aus rotem und blauem Fondant geknetet und so einen aparten Mauve-Ton erzielt hatte. Aus dem blauen Modellierfondant modellierte Milla eine Männergestalt und aus dem roten die einer Frau, die sich in inniger Umarmung zeigten. Dieses Paar platzierte Milla nun, nachdem sie die zweite Torte des Stamms samt Kuchenplatte befestigt und die mittlere Torte darauf gestellt hatte, unter die Krone des Pflaumenbaums.

Fehlte nur noch die Wolke. So wirklich „ungeheuer oben“ wirkte sie nicht, doch barg sie das Geheimnis der Zitronenfalter, eines Lächelns und des Glücks, in steter Erneuerung jedes Jahr einen neuen Frühling erleben zu dürfen. Mit weißem Fondant eingedeckt und mit Schwalben aus Fondant versehen wirkte sie, klein, wie sie war, wie ein Krönchen.

Milla ging, nachdem die Torte in einem milde temperierten Kühlraum untergebracht war, in die Wohnstube. Setzte sich, den kleinen Kater auf dem Schoß, dem Sofa mit dem schlafenden Tarik gegenüber in ihren gemütlichen Ohrensessel. Sie liebte diesen Sessel. Hier saß sie oft, ließ den Arbeitstag ausklingen, sah aus dem Fenster in den Garten, über den See hinaus zum Horizont und ließ ihre Gedanken mit den Wolken ziehen. Den Auftrag hatte sie erledigt. Morgen würde sie die Torte und einige vorbereitete Probestückchen dem jungen Paar aushändigen. Das Gedicht erwähnen und ihre Interpretation in Form der Torte erläutern. Ihren Wunsch, dass es dem Paar gelingen möge, in jeder weißen Wolke die Erinnerung an das Glück ihrer ersten Verliebtheit wiederzufinden, wenn die Jahre ihrer Ehe ins Land gezogen wären, „… geschwommen still hinunter und vorbei …“

Und Tarik? Ihm hatte sie eine Torte versprochen, die von ihm und dem Garten seines Großvaters erzählte. ‚Eine Torte schaffe ich nicht mehr‘ ging es Milla durch den Sinn. Mit einem Seufzer mache sie sich erneut auf in die Backstube. Wollte Tarik am nächsten Morgen überraschen.

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