Freitag, 13. April 2018

Ein neuer Tag

Mit freundlicher Genehmigung durch Rittiner&Gomez, Spiez, CH



Die Strahlen der Sonne tasteten durch die Kühle des Morgens nach Millas geschlossenen Lidern. Sie erwachte. Rieb sich den Schlaf aus den Augen. Was für ein seltsamer Traum. Milla stand auf und sah nebenan nach Tarik. Das Sofa war leer, Kissen und Decke lagen auf dem Fußboden. Von Tarik keine Spur.

Milla eilte in die Küche. Der Teller war leer, das Kärtchen „Großvaters Garten“ lag daneben. Die Tür von der Backstube zum Garten stand offen, und so wunderte Milla nicht, dass auch vom kleinen schwarz-weißen Kater nichts zu sehen war. Als Milla die Tür zum Garten zuzog, fiel ihr Blick auf den See. Der lag da, ruhig wie immer, und von den winzigen Wellen warf sich reflektierter Sonnenschein in den jungen Tag wie eine längst schon erzählte und doch immer neue Geschichte, die es jedem zu erzählen galt, der zuhören mochte.

Die Torte mit dem Pflaumenbaum darin lieferte Milla noch am selben Tag aus. War die junge Frau zwar noch voller Zweifel, so hörte ihr Zukünftiger umso aufgeschlossener zu. Milla sah, wie er die Torte mit aufmerksamem Blick betrachtete und nach dem Gedicht zu suchen schien, das ihr innewohnen sollte wie ein Segenswunsch, der nicht nur dem Paar und seiner jungen Liebe galt.
Aßen die Menschen von der Torte, würden sie sich an die Liebe erinnern. Wie an eine verloren geglaubte Heimat, zu der es sie zog. Einen Großvater vielleicht. Wie an etwas, auf das sie lange gewartet hatten und das nun in ihr Leben Einzug hielt. Auf einem Esel, vielleicht. Vielleicht aber auch in Gestalt eines Stückchens Torte, das ihnen auf der Zunge verging. Wieder verloren ging, in jenem köstlichen Moment gelebten Erinnerns.

Kaum dass Milla sich wieder in ihr Fahrzeug gesetzt und tief durchgeatmet hatte, wusste sie die Geschichte um das Paar und dessen Verlobung hinter sich und dem Vergessen preisgegeben. Stunden geschäftiger Routine vergingen. Mit der abendlichen Ruhe stieg in Milla ein Gefühl der Verlassenheit auf. Der Mond ging auf über ihrem Garten und begab sich auf seinen nächtlichen Gang um das Drehen der Erde. Milla stand am Fenster der Backstube und sah ihm dabei zu.

‚Gerade so‘, ging es Milla durch den Sinn, ‚hätte ich es mir erdacht, wenn ich das könnte.‘ Ein schwarz-weißer Schatten hüpfte vom Garten her auf die Fensterbank und eine weiße Pfote tupfte ans Fenster. Das Katerchen! Rasch öffnete Milla dem kleinen Gast. Der sprang mit leisem Miu! hinein und schmiegte sich purrend um Millas Beine. Die nahm ihn hoch auf ihrem Arm, setzte sich auf das Sofa aus dunkelgrünem Plüsch. Als sie sich setzte, berührte ihre Hand etwas Kühles. Eine Zwetschge. Die konnte sie nicht übersehen haben, als sie in der Früh die Schlafstätte ihres jungen Gastes aufgeräumt hatte. Versonnen hielt Milla die Frucht in ihrer Hand, polierte sie an ihrem Pullover und erkannte auf ihrer dunkelblauen, violetten Haut das Abbild eines nächtlichen Sternenhimmels, über den in großer Höhe dünne Wolken zogen wie ferne Sternennebel. Tarik. Wenigstens ein Tarik war ihr geblieben, seufzte Milla. Was wohl aus dem Raum geworden war, zu dem sie sich geträumt hatte? Ob dessen Sterne noch leuchteten?

Milla ließ ihren Blick aus dem Fenster über den klaren Nachthimmel schweifen und lächelte.

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